Teil I: Ureaus bis 1999Andrzej Olszewski ist tot
Von uns ging ein Mensch, dessen Arbeit das wichtigste intellektuelle Magazin des polnisch-freidenkerischen Milieus nach 1989 bildete. Ihm ist es zu verdanken, dass eine ganze Reihe herausragender Werke führender kritischer Theologen und Freidenker vor allem aus dem deutschen Sprachbereich nach Polen kamen, Bücher etwa von Karlheinz Deschner (mit dem Olszewski auch eine persönliche Freundschaft verband), Uta Ranke-Heinemann, Hubertus Mynarek, Eugen Drewermann, Horst Herrmann, Adolf Holl und von fünfzig anderen, unter ihnen auch jene kritischen Theologen, die zur „zweiten Welle“ der Reformation gerechnet werden. Die Bedeutung des Firmenwappens – das Progamm von URAEUS
Das Spektrum (kirchen-) kritischer Bücher von URAEUS; Verbindungen nach Deutschland
Behinderungen der Verlagsarbeit durch den KlerusGanz offensichtlich stieß der Verlag auf zahlreiche Probleme, die Andrzej Olszewski als Behinderung seiner Arbeit durch den Klerus wahrnahm, In dieser Hinsicht sehr charakteristisch ist die Sache mit einem der ersten von URAEUS herausgegebenen Bücher, „Peter, Kätchen und die Kleinen“ (1993), eine Einführung in die Welt der Geschlechtlichkeit des Menschen für die Jüngsten. Das in Deutschland mit einem Jugendliteratur-Preis ausgezeichnete Buch wurde in Polen durch den Verleger aus dem Verkauf gezogen, als kurz nach seinem Erscheinen kirchliche Gruppen eine Hetzjagd gegen URAEUS wegen vermeintlicher Demoralisierung der Kinder entfachten. Der Verleger beugte sich und versteckte das Buch tief hinter diversen Magazinen, hinter denen es erst vor ein paar Monaten dank der Zusammenarbeit von URAEUS und „Racjonalista“ hervorgeholt wurde. Öffentliche ResonanzDem Verlag gelang es trotzdem, die schwierigen Anfänge durchzustehen und sich glänzend zu entwickeln. Höhepunkt dieser Entwicklung waren die Jahre 1995-1999. Zu dieser Zeit wurden auch die Medien auf URAEUS aufmerksam. Der erste Artikel über den Verlag in Presseorganen mit hohen Auflagen erschien im Anhang „Plus Minus“ der Zeitung „Republik“ (26./27.4.1997). In einem ausführlichen Text unter dem Titel „Theologen schlechten Glaubens“ schlug Beate Zubowicz dramatische Töne für die Notwendigkeit einer neuen Zensur an:
Ein sehr viel wohlwollenderer Text erschien am 20.5.1998 in „Przeglad Tygodniowy“ („Wochen-Rundschau“) aus der Feder von Przemyslaw Wielgosz, der sich so äußerte: „Die Vernunft gehört im heutigen Polen nicht zu den besonders hoch geschätzten Werten. In den Medien mehren sich zahllose oppositionelle Gruppierungen. Es passiert, dass selbst außer Zweifel stehende Koryphäen der Wissenschaft ihren früheren Kritizismus aufgeben. Seit das aufkärerische Misstrauen unter Verdacht gestellt wurde, gehört in sogenannten Salons der Lobpreis der zivilisatorischen Verdienste der Kirche und der Tiefe ihrer theologischen Doktrinen zum guten Ton. Die Klerikalisierung findet dabei Unterstützung sowohl in der momentanen politischen Konjunktur als auch in der ein wenig dauerhafteren kulturellen Mode. Unter den zahlreichen Manifestationen dieser Mode befinden sich gleichermaßen frisch bekehrte Rockstars wie postmodernistische Philosophen; gleichermaßen New Age wie die Religionen Ostasiens und die Tiefenökologie. Mit um so größerer Aufmerksamkeit sollten wir deshalb alle Äußerungen offenen Praktizierens des Ethos der Aufklärung notieren. Genau mit dieser Einstellung nämlich haben wir es im Fall des 1993 entstandenen URAEUS-Verlags in Gdynia zu tun.“ Ein Jahr später, am 18. Mai 1999, äussert sich die Tageszeitung „Życie“ (Leben) betrübt über den „verlegerischen Erfolg“ von URAEUS, eine Folge der „Sünde mangelhafter Seelsorge polnischer Hirten für ihre Schäfchen“, die sich deswegen von den Propheten eines „schlechten Glaubens“ irreführen lassen. Ihr Trompeter sei der URAEUS-Verlag. Mit den Worten Thomas Falbes: „URAEUS ist der einzige Verlag in Polen, der diese Art Bücher herausbringt und der daran auch noch verdient. Wie Olszewski behauptet, ist die finanzielle Lage der Firma gut. URAEUS beklagt sich nicht über mangelnde Leserschaft. [...] Der unbezweifelbare Erfolg dieses Verlags auf dem polnischen Buchmarkt offenbart einen großen Hunger in unserer Gesellschaft nach kritischer Lektüre zur Religionsgeschichte. URAEUS profitiert also voll und ganz von der verlegerischen Lücke und davon, dass es keine anderen Mutigen gibt, die solche Bücher herausgeben.“ In einem „Intellektuelle Revolution“ betitelten Text, der im „Gdynier Tageblatt“ vom 13.11.1998 erschien, wird URAEUS mit Blick auf den polnischen Verlagsmarkt als Potentat gewürdigt, der Bücher weltberühmter deutscher Philosophen herausbringt (Bücher, durch deren Lektüre die Hörer von Radio Maryja Schüttelfrost bekämen). Es sind die Werke von Karlheinz Deschner: ‚Das Kreuz mit der Kirche’ und ‚Opus Diaboli’ , Uta Ranke-Heinemann: ‚Nein und Amen. Eunuchen für das Himmelreich – Katholische Kirche und Sexualität’, Holger Kersten und Elmar Gruber: ‚Jesus – Opfer einer Verschwörung. Die Wahrheit über die Auferstehung’ usw. usf.“ Im auflagenstarken Teil der polnischen Presse erschienen auch ausführliche Gespräche mit den führenden Autoren des Verlags, Karlheinz Deschner und Uta Ranke-Heinemann („Irgendwann würde ich auf dem Scheiterhaufen brennen“, „Polityka“, 25.4.1998). Was aber nicht gelang, war die Verwirklichung der Absicht, herausragende westliche Denker, besonders aus Deutschland, für Begegnungen und Vorlesungen in Polen zu gewinnen – es fand sich kein Partner oder Sponsor, der an solchen Unternehmungen interessiert gewesen wäre. Krönung dieser Phase der Verlagsarbeit: Auszeichnung mit dem Robert Mächler-Preis in Zürich 1999
![]() Von links sind: Andrzej Olszewski, Karlheinz Deschner, Z. Bujko, Gabriele Roewer, L. Radochoński und W. Dębowski ![]() Stanisław Pietrzyk und Andrzej Olszewski ![]() Teil II: Uraeus nach 1999Das Jahr 1999 war jedoch eine Zeit der Krise, die über seine Kräfte ging. Später sollte es nur noch schlimmer werden. Entscheidend war der viel zu frühe Tod von Andrzejs geliebter Ehefrau Danka. Sie war seine wahre zweite Hälfte. Zusammen lebten und arbeiteten sie. Ohne sie vermochte er sein Leben nicht einzurichten. In den letzten zehn Jahren erlosch er langsam, verfiel in den Tod. In den folgenden Jahren gab er zwar noch einige wichtige Titel heraus, an der Spitze drei Bände der monumentalen Deschner-Reihe – „Kriminalgeschichte des Christentums (Band III-V) –, aber die Krise weitete sich aus, das Ende zeichnete sich deutlich ab. Der Verlag beendete seine normale Tätigkeit faktisch schon im Jahre 2002. Damals erschienen vor allem noch zwei, auch dem Umfang nach, große Werke: Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“, Band V, sowie Drewermanns „Kleriker, Psychogramm eines Ideals“, aber auch, und das ist bezeichnend, „Trampolin“ von Matthias Przepiera über den Kampf mit der Alkoholsucht oder, wie es der Verleger umschreibt, über den „heroischen Kampf mit sich selbst“. Andrzej Olszewski jedoch fand sein eigenes Sprungbrett nicht mehr wieder. Zusammen mit ihm erlosch auch URAEUS, der in den letzten Jahren eigentlich gar kein Verlag mehr war, sondern ein Magazin für die Herausgabe der Reste der Auflagen einiger Bücher. Wir lernten uns in diesem für ihn so schwierigen Lebensabschnitt kennen. Es verband uns nicht nur der gemeinsame Geist freidenkerischer publizistischer Tätigkeit. Ich besuchte ihn einige Male in Gdynia. Er musste seinen BMW verkaufen, der Sitz des URAEUS-Verlags vegetierte im obskuren Keller einer Schule von Gdynia. Andrzej selbst lebte nur noch von seinen Erinnerungen, sprach vor allem von seiner Frau und ihrem gemeinsamen schönen Leben. Zwar plante er noch die Herausgabe eines schon übersetzten weiteren Bandes der „Kriminalgeschichte des Christentums“ (des sechsten von zehn Bänden), wonach die Leser so häufig fragten, aber es bestanden keinerlei begründete Aussichten auf die Realisierung dieser Pläne. Noch vor ein paar Wochen sprachen wir über die Frage der Verwirklichung seines früheren Plans, führende deutsche Freidenker und kritische Theologen, deren Mehrheit er persönlich kannte, zu Vorträgen nach Polen einzuladen. Heute weiß ich, dass sich diese Pläne nicht erfüllen konnten. Andrzej ging am 10. Jahrestag des Todes seiner geliebten Frau von uns. Er ist eine tragische Gestalt, aber eine große und verdienstvolle. Man muss das Gedächtnis an ihn wach halten. Was UREAUS begann, muss weitergeführt werden! Weitere Informationen: deschner.info und hpd.de (Humanistischer Pressedienst, 30. Juni 2009) | |
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